Salutogenese – Erste Erfahrungen

Salutogenese im Schulalltag – wie geht das? (10B, Sablotny, 2012/2013)Wie lassen sich gesundheitsfördernde Prozesse initiieren in einem Unterricht, der dominiert wird von kognitiven Lernprozessen, der Vermittlung von Strukturen, Kenntnissen, Fakten, Daten, Kompetenzen, Techniken, Methoden, von Lernerfolgskontrollen und Noten? 
Diese Frage war der Startschuss für einen Modellversuch in der 10B, in dem es darum ging Beziehungen innerhalb der Lerngruppe und zwischen Schülern und Lehrern mithilfe schöpferischer Gestaltung günstig zu beeinflussen und damit mangelndem Sozialverhalten vorzubeugen. 
Die Idee zu diesem Modellprojekt hatte sich in Vorgesprächen zur schulinternen Lehrerfortbildung entwickelt und wurde von Eckard Schiffer, Chefarzt i.R. der Abteilung für Psychosomatische Medizin mit Familientherapeutischem Zentrum am Christlichen Krankenhaus Quakenbrück begleitet. Neben der Klassenlehrerin erklärten sich weitere Kollegen bereit, an diesem Projekt teilzunehmen. Der Einladung der Englischlehrerin folgend, besuchte Eckhard Schiffer die Lerngruppe einige Male während des Schuljahres.

“Die Englischlehrerin, die zugleich auch Klassenlehrerin war, konnte mit großem Geschick intermediäre Räume im Unterricht ermöglichen, wobei sie stets selbst und gelegentlich auch ich in den Prozess mit einbezogen waren.
Als Beispiel hierfür: Improvisationstheater Romeo and Juliet:
Die Schülerinnen und Schüler bekamen ein “Handout”, in dem mit fünf Szenenskizzen und verbindendem Text – alles in Englisch – das Drama vorgestellt wurde mit nach Hause. Zur nächsten Doppelstunde sollten sie irgendein Kostümteil oder Requisit für szenische Improvisationen mitbringen und das Handout sprachlich vorbereiten. Für jede der fünf Szenenskizzen wurde durch Los eine Gruppe zwischen drei und sieben Teilnehmern bzw. Teilnehmerinnen zusammengestellt. Die Gruppen hatten 30 Minuten Zeit “sich zu finden”, die Rollenverteilungen auszuhandeln, die Reihenfolge für die Improvisationsdialoge zu erstellen und sich zu “kostümieren”. Dies alles in englischer Sprache. Nach anfänglicher Beklommenheit, insbesondere in den beiden Gruppen, denen Liebesszenen zugefallen waren, war Stimmung zunehmend gelöster. Gelächter beim Ausprobieren papierener Masken und Kronen – außer der Lehrerin hatte kaum jemand etwas als Kostümandeutung Verwendbares mitgebracht. Spätestens bei der Aufführung – auch die selbstverständlich in englischer Sprache – zeigte sich eine kreative Kooperativität in jeder Gruppe. Deren Akteure unterstützten sich wechselseitig. Keiner wurde auch nur andeutungsweise ausgelacht. Jeder konnte sich nach seinen Möglichkeiten und englisch sprachlichen Kenntnissen und Fähigkeiten entfalten und die jeweils Zuschauenden belohnten die Akteure mit freudigem und anerkennendem Beifall. Nur drei Stunden später meldeten sich Schüler anderer Klassen, die auch mal “so etwas” machen wollten. Noten-Leistungsdruck spielte nach meinem Eindruck kaum eine Rolle. Zum einen, weil die Lehrerin selber mitspielte, zum anderen weil eine Klassen-Gesamtnote vergeben wurde, die mit ihrer Punktzahl für jeden einzelnen gleichermaßen galt.

Vorausgegangen waren vergleichbare Aktivitäten, wie die gemeinsame Gestaltung eines englischen Studentenwohnheimes aus Einzelelementen, der Gesamtentwurf einer Rede – aus Einzelstatements zu dem “Wert von Bildung” – an ein Mitglied des englischen Parlaments oder das Singen englischer Lieder. 
Das spielerisch-spontane Zusammenfügen der jeweiligen Einzelintentionen der Schüler ermöglichte nach anfänglichem “Befremdeln” (“Was bringt mir das?”) zunehmend intensive Mentalisierungsprozesse in einem empathischen Klima. Unter neuropsychologischen Gesichtspunkten handelte es sich dabei um eine “kontrollierbare Stressreaktion” mit besonders intensiven Lerneffekten. ( Kp. 6, s. S. …). Zugleich konnte via Spiegelneurone eine bedeutsame Motivationsförderung angenommen werden, indem die Lehrerin nicht nur daneben stand, sondern aktiv mitmachte obgleich auch für sie z. B. Theaterimprovisationen Neuland darstellten.
Zugewandtheit, Kooperativität und Hilfsbereitschaft der Schüler untereinander hatten – bei einer respektablen Ausgangslage – besonders im zweiten Halbjahr noch deutlich zugenommen – so die Wahrnehmung der Klassenlehrerin.”

Am Ende des Projektes erläuterte Eckhard Schiffer, der in der Klasse mittlerweile ein gern gesehener Gast geworden war, den Schülern die Hintergründe zu dem, was sie im Englischunterricht praktiziert hatten. In ihren Rückmeldungen waren sich die Schüler einig:
“Man kann etwas vorstellen, ohne dass man sofort ausgelacht wird. Ich hatte nicht die Angst ausgelacht zu werden.”
“Englisch hat mir Spaß gemacht”
“Dr. Schiffers Anwesenheit wirkte nicht störend, weil er immer mitgemacht hat.”
“Ich fand gut, dass Frau Sablotny immer mitgemacht hat.”
“Es hat mir Spaß gemacht, ich hatte mehr Freude am Unterricht.”

Eine Fortsetzung des Modellversuchs ist geplant und zwar in einer 8ten Klasse. Herr Dr. Schiffer hat sich bereit erklärt, auch dieses Projekt zu begleiten und die Lerngruppe kennen gelernt. Die Schüler sind einverstanden und warten gespannt, auf das, was kommt. Vorgespräche zwischen der Englischlehrerin und dem Klassenlehrer haben bereits stattgefunden. Die Kollegen werden in Kürze informiert, ebenso wie die Eltern, die zu Beginn des Schuljahres informiert und miteinbezogen werden. 
Mit diesem Projekt ist das AGQ weit und breit die einzige Schule, die im bestehenden System gesundheitsfördernde Prozesse im Unterricht initiiert.

Maria Sablotny